Gemeinsam gegen die Depressionen
Depressionen gehören heute leider fast zum täglichen Leben. Meistens ziehen sich Betroffene zurück, um andere nicht zu belasten. Doch diese Entscheidung ist meist ungesund – für den Betroffenen und die Partner, die Familie.
Für Paare ist die Depression eine Belastung. Die Beziehung könnte mit der Zeit gefährdet werden. Doch wie schafft man es – gemeinsam – aus der Depression? Wie geht man auf den Partner zu? Wie signalisiert man tiefen Kummer? Wie kann man helfen? Wie gelingt es, Hilfe anzunehmen? Wie bewältigt man die Depression gemeinsam?
Wir haben uns mit dem Paar- und Familientherapeuten Guy Bodenmann unterhalten.
Prof. Dr. Guy Bodenmann
Paar- und Familienpsychologe. Er lehrt und forscht an der Universität Zürich. Zu seinen Veröffentlichungen beim Hogrefe Verlag zählen unter anderem „Bevor der Stress uns scheidet“ und das „Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie“.
Sein Buch Schatten über der PartnerschaftWie Paare Depressionen gemeinsam bewältigen können ist jetzt erhältlich.
Wie erkennt man, dass ein Partner Depressionen hat?
Man stellt Veränderungen im Denken, beispielsweise bezüglich der Konzentrationsfähigkeit fest oder merkt am Inhalt der Äußerungen, die Desinteresse, Pessimismus, Desillusion oder Hoffnungslosigkeit ausdrücken, dass der Partner/die Partnerin stimmungsmäßig verändert ist. Er/sie wirkt bedrückt und niedergeschlagen, hat kein Interesse und keine Freude mehr an vielen Aktivitäten, die er/sie früher gerne ausgeführt hatte.
Im Verhalten fällt einem das häufige Klagen, im Bett liegen oder die motorische Verlangsamung auf. Sexuell stellt man eine Ab- oder Zunahme der Libido fest.
Insgesamt wird die Interaktion einseitiger, das Gegenüber interessiert sich nicht mehr gleichermaßen für einen, erzählt nur von sich, hört nicht zu und gibt kaum verbales und nonverbales Feedback.
Gerade wenn man einen Menschen wie den Partner/die Partnerin gut kennt, fallen diese Veränderungen im Wesen und Verhalten unweigerlich auf.
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Die Depression wirft „einen Schatten auf die Beziehung“. Welche Auswirkungen hat das?
Depressionen werfen besonders lange Schatten, da sie sehr viele Bereiche einer Beziehung betreffen.
Diese Auswirkungen reichen vom Austausch von Gefühlen, über die Häufigkeit und Qualität der Gespräche, die Rollen- und Aufgabenverteilung, die Gestaltung der Freizeit, die Pflege des sozialen Netzwerkes, die Erziehung der Kinder, gemeinsame Zukunftspläne bis hin zur Sexualität. Alle Aspekte sind betroffen und das Leben verändert sich dadurch merklich.
Wie kommt man an die Partner*innen ran? Viele machen zu?
Die Erfahrung ist, dass die Partner*innen es nicht gewohnt sind, dass man sich auch für sie interessiert, weshalb sie in einem ersten Reflex davon ausgehen, dass sie noch zusätzliche Aufgaben aufgebürdet bekommen und daher abwinken. Sobald man ihnen jedoch aufzeigt, dass eine Depression beide betrifft und man auch sie einbeziehen und ihnen Gehör schenken möchte, ändert sich das Bild. Viele sind unter diesen Voraussetzungen bereit, bei der Behandlung mitzuwirken, da sie ebenfalls stark darunter leiden und für ihre Situation Unterstützung benötigen.
Warum ist ein „… nun reiss dich doch mal zusammen, du bist immer so negativ…!“ nicht dienlich?
Der Satz ist nicht aufbauend und hilfreich, sondern meist Ausdruck einer eigenen Erschöpfung. Man mag nicht mehr, empfindet Ambivalenz gegenüber der Situation oder negative Gefühle, denen man mit diesem Ausspruch Luft macht.
Die depressive Person spürt die Gereiztheit, merkt, dass sie dem Partner/der Partnerin zur Last fällt und diese/dieser negative Gefühle empfindet. Sie möchte ja nicht negativ sein, doch erscheint ihr alles düster. Sie glaubt, dass sie nicht genüge, andere sie ungünstig beurteilen und auch die Zukunft nichts Erfreuliches bringen werde. Dieses Leiden teilen sie den anderen in ihrem Klagen mit und erhoffen sich Verständnis und Unterstützung. Wird nun seitens des Partners/der Partnerin negativ darauf reagiert, bestätigt dies ihre Annahme, dass sie anderen zur Last fallen, dass diese sie kritisieren und nicht mehr ertragen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis und die Depression wird aufrechterhalten.
Wie wirken sich Paaarprobleme auf die Depressionen aus?
Studien zeigen, dass Partnerschaftsprobleme und Depressionen eng zusammenhängen. Eine glückliche Beziehung ist ein wichtiger Resilienzfaktor, eine unglückliche Partnerschaft dagegen ein relevanter Risikofaktor für ein geringeres psychisches und physisches Befinden. Depressionen sind im Zuge von Beziehungskrisen, Trennungen oder Scheidungen sehr häufig. Das ist nachvollziehbar. Wenn man in der Partnerschaft unglücklich ist, fällt nicht nur deren protektive Wirkung weg, sondern es kommen tägliche Belastungen hinzu. Negative Gefühle wie Enttäuschung, Frustration und Niedergeschlagenheit stellen sich ein. Häufig ausgelöst durch ungünstige Erlebnisse wie verallgemeinernde Kritik, Abwertungen oder Bloßstellungen seitens der Partnerin/des Partners. Andererseits kann eine Depression auch ihrerseits zur Abnahme der Beziehungszufriedenheit führen.
Wie kann man als Paar die Depression angehen? Sie sprechen in Ihrem Buch von einer „Ruderpartie, bei der es beide braucht, um im Gleichklang und mit demselben Ziel vor Augen zu rudern.“
Studien zeigen, dass in der Regel beide Partner*innen unter der Depression leiden, und dass rund 40% der Partner*innen ebenfalls Symptome einer klinischen Depression zeigen, dies können Stresssymptome wie Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Verspannungen, Verdauungsbeschwerden oder häufig somatische Beschwerden sein. Ihr Immunsystem ist geschwächt, daher sind sie anfälliger für alle Formen von Krankheiten. Sie sind aber auch stimmungsmäßig bedrückt, niedergeschlagen, fühlen sich hilf- und hoffnungslos.
95% der Betroffenen Partner*innen berichten von einem Schatten über ihrem Leben durch die Depression des anderen. Es gilt daher auch ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Unterstützung anzubieten.
Das Bild des gemeinsam rudernden Paares hilft dabei, beide ins Boot zu holen und ihnen aufzuzeigen, dass beide eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Depression spielen. Nur wenn beide als Team agieren oder eben im Ruderbild gemeinsam, synchron und mit gleicher Stärke rudern, gelingt es, die Depression als Paar gut zu bewältigen und sogar daran zu wachsen.
Diese Sicht der Depression als gemeinsame Herausforderung, als Aufgabe, welche beide Partner*innen betrifft, nennt man „We-Disease“. Sie nimmt auf das „Wir-Gefühl“ des Paares Bezug, auf dieses Bild, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen. Anstatt die Depression als die Angelegenheit des direkt Betroffenen zu verstehen, wird sie als Bewältigungsaufgabe des Paares definiert. Dadurch können Synergien besser genutzt werden. Dies bedeutet, dass ebenfalls auf therapeutischer Seite dem Partner/der Partnerin Gehör geschenkt werden und er/sie in regelmäßigen Abständen in die Therapiesitzungen einbezogen werden sollte.
Dabei soll auch der Partner/die Partnerin Raum erhalten, über seine/ihre Situation und Bedürfnisse zu sprechen. Das Paar als Ganzes soll gestärkt werden, um die Depression zu überwinden und beide in ihren Ressourcen zu halten oder sie dahin zurückzuführen. Da zudem Beziehungsprobleme und Depressionen, wie bereits gesagt, häufig zusammenspielen, kann ein solcher Ansatz auch zur Verbesserung der Partnerschaft beitragen.
Gibt es einen Punkteplan, wie man am besten vorgehen könnte?
Zuerst sollte das Paar für diese Sicht sensibilisiert werden und erkennen, dass beide unter der Situation leiden, aber auch beide für die Bewältigung der Depression wichtig sind. Dazu eignet sich das Ruderbild. In diesem Sinne gilt es beiden Gehör zu schenken und beide in ihren Ressourcen zu stärken.
Beide sollen die Beiträge zur Bewältigung einbringen, welche sie können, damit beide beim Rudern aktiv beteiligt sind.
Da das Paar vor allem bei chronischen Verläufen an seine Grenzen stoßen kann, gilt es auch das soziale Netz (Freunde, Bekannte, Verwandte) zu aktivieren und Unterstützung von dieser Seite anzunehmen.
Schließlich ist in den meisten Fällen eine Psychotherapie notwendig (eventuell mit Medikation kombiniert), wobei hier eben beide einbezogen werden sollten und nicht nur die Person mit der Depression.
Lieber Guy Bodenmann! Danke für dieses äußerst spannende Gespräch!
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