Bettnässen – ein Tabuthema – und das, obwohl viele Familien betroffen sind: In Europa pieseln rund 8 % der Kinder zwischen 4 und 12 Jahren nachts ins Bett. Niemand scheint darüber zu sprechen, obwohl der Bedarf an einem offenen Austausch, der Eltern und Kinder unterstützt, groß ist:
Wir haben ein ausführliches Gespräch mit Dr. Nikola Klün geführt:
mampa: Bettnässen: Kinder machen während der Nacht, während des Schlafs ins Bett. Das kommt vor. Normalerweise werden Kinder wach, wenn sie aufs Klo müssen. Ab und an eben nicht. Das ist in der Regel nicht so tragisch. Ab wann spricht man von Bettnässen?
Dr. Nikola Klün: Von Bettnässen spricht man, wenn Kinder über fünf Jahre nachts immer wieder ins Bett machen, ohne dass es eine körperliche Ursache dafür gibt. Harninkontinenz ist – nach Ausschluss organischer Ursachen – bis zum vollendeten 5. Lebensjahr physiologisch, also normal und sollte nur in Ausnahmefällen als medizinisches Problem betrachtet werden. Der Fachbegriff für Bettnässen ist Enuresis nocturna. Dabei unterscheidet man zwischen der sogenannten primären Enuresis, wenn das Kind noch nie länger als 6 Monaten trocken war, und einer sekundären Enuresis. Sie liegt dann vor, wenn das betroffene Kind schon einmal mindestens 6 Monate lang hintereinander kontinent war und es dann einen Rückfall gibt.
Dr. Nikola Klün
Ärztin in der Kindermedizin
und Podcasterin
Können Sie uns bitte die Ursachen für das Bettnässen erklären? Gibt es womöglich medizinische?
Allgemein ist der häufigste Grund für das Bettnässe eine verzögerte Reifung der Blasenkontrolle im Gehirn. Bei einem Teil der betroffenen Kinder hat sich der Tag-Nacht-Rhythmus in der Hirnanhangdrüse noch nicht voll ausgebildet. Daher wird nachts zu wenig von einem Hormon, dem sogenannten ADH antidiuretisches Hormon, gebildet. Es sorgt dafür, dass die Flüssigkeiten aus dem Harn bildenden Apparat in der Niere zurück resorbiert wird.
Diese Kinder produzieren nachts genauso große Urinmengen wie tagsüber. Dazu kommt, dass Kinder nachts so tief schlafen, dass sie eine volle Blase nicht spüren und diese sich dann unbemerkt ins Bett entleert. Zuletzt wird die Blasenentleerung nicht genügend während des Schlafs gehemmt. Auch dies beruht in der Regel auf einer Entwicklungsverzögerung.
Die Veranlagung zum Bettnässen liegt übrigens häufig in der Familie: Hat ein Elternteil als Kind eingenässt, nässen die Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % ebenfalls ein. Waren beide Eltern betroffen, steigt das Risiko auf 75 %. Neben medizinischen Ursachen können auch psychosoziale Faktoren das Bettnässen als Auslöser begünstigen.
„Jetzt muss ich schon wieder das Bett abziehen und waschen. Das habeich erst gestern getan! Nun pass doch mal auf!“ Kommt es zum Bettnässen ist es sicherlich nicht dienlich, das Kind zu schimpfen. Regelmäßiges Bettnässen zu verschweigen und mit einem Gefühl der Scham zu verbinden hilft aber auch nicht, oder? Wie reagieren Eltern, richtig und sanft?
Weil auch die Gene beeinflussen, wie schnell sich die Kontrolle über die Blaseentwickelt, kann Bettnässen in verschiedenen Generationen einer Familie immer wieder vorkommen. Für ein Kind kann es tröstlich sein, das zu erfahren. Es weiß dann, dass Bettnässen nichts Ungewöhnliches ist und früher oder später von selbst aufhört.
Dem Kind zu erklären, dass andere Kinder in der Schule vielleicht dasselbe Problem haben, auch wenn sie nie darüber sprechen, kann ebenfalls helfen. Wichtig ist, dass ein Kind versteht, dass es keineswegsein „Nachzügler“ ist, nur weil es etwas länger braucht, bis es nachts trocken ist. Vielleicht ist es in anderen Dingen genauso gut wie andere Kinder oder ihnen sogar etwas voraus? Darauf hinzuweisen, kann das Selbstbewusstsein des Kindes stärken und ihm den Umgang mit dem Bettnässen erleichtern.
Generell sollte dem Kind signalisiert werden, dass es von sich aus das Thema jederzeit ansprechen kann, es die Lösung mitgestalten kann und dass es vor allem kein „Problemthema“ für die Eltern ist. Es ist in erster Linie ein nicht ungewöhnliches Verhalten, es ist meistens biologisch bedingt und gemeinsam kann es geschafft werden, es zu lösen. Das Thema sollte offen, wertfrei und immer dann, wenn es gewünscht wird, besprochen werden.
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Wie fühlt sich das betroffene Kind dabei? Leidet es wohl möglich oder denkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt?
Viele Kinder vergleichen sich mit Gleichaltrigen und haben Angst davor, dass andere etwas herausbekommen und sich dann über sie lustig machen. Deshalb trinken einige Kinder weniger oder meiden nach Möglichkeit Situationen, in denen sie sich nicht sicher fühlen – wie Klassenfahrten oder Übernachtungen bei Freunden. Manche Kinder weigern sich auch, eine Freundin oder einen Freund nach Hause einzuladen, aus Sorge, dass sie Anzeichen für ihr Problem entdecken könnten wie einen Matratzenschoner im Bett oder Uringeruch.
Wenn im elterlichen Haushalt kein Druck gemacht wird, sind die größten Herausforderungen Übernachtungen bei Freunden oder Klassenfahrten. Je älter die Kinder, desto höher die befürchtete Stigmatisierung. Im schlimmsten Fall führt das Einnässen zur sozialen Isolation.
Was kann man tun, um das Bettnässen in den Griff zu bekommen?
Etwas Gelassenheit und praktische Maßnahmen können helfen, mit den nächtlichen Störungen umzugehen. Man kann Verschiedenes tun, um allen Beteiligten den Umgang mit dem Bettnässen zu erleichtern. Praktisch sind zum Beispiel ein Nachtlicht und leicht zugängliche Lichtschalter im Flur, Bad oder WC. Sie helfen dem Kind, möglichst rasch die Toilette zu erreichen. Ist der Weg dorthin zu lang oder die Eile groß, ist auch ein Nachttöpfchen in Bettnähe eine Möglichkeit.
Wenn das Zimmer des Kindes eher weit vom WC entfernt ist, kann – falls möglich – auch ein Zimmertausch eine Überlegung wert sein. Zudem gibt es auch für ältere Kinder Windeln und Windelhöschen wie die neuen Ninjama Pyjama Pants. Manchen Kindern geben sie Sicherheit, andere lehnen sie ab. Wenn das Bettnässen den Familienalltag aber empfindlich stört oder zu einer emotionalen Belastung wird, kann auch eine Behandlung sinnvoll sein – vorausgesetzt, das Kind ist bereit dazu.
Ich habe Mütter erlebt, die offen mit anderen Müttern über ihre bettnässenden älteren Kinder gesprochen haben – in deren Gegenwart. Das muss unglaublich verletzend sein?
Wir Eltern vergessen oft, die Privatsphäre von Kindern zu achten. Intime Themen werden über den Kopf der Kinder besprochen und dabei vergessen, dass auch die Kleinen ein Schamgefühl haben. Wird zum Beispiel über das Einnässen gesprochen, kann es sein, dass dadurch beim Kind ein Scham- und Druckgefühl entsteht. Das hat nicht nur zur Folge, dass das Kind erst recht einnässt (Druck erzeugt Gegendruck), sondern, dass das so wichtige Vertrauensverhältnis zu den Eltern einen Knacks bekommt. Gesprochen werden sollte mit dem Kind (wenn es das mag) und nicht über das Kind.
Was können Eltern tun, um die Zeit des Bettnässens gemeinsam mit dem Kind „gesund“ zu meistern?
Geduld zeigen. Das Thema Einnässen begleitet viele Familien jahrelang. Manchmal geht es zwei Schritte voran, dann wieder einen zurück. Die Wäscheberge und die nächtlichen Betten- und Schlafanzug Wechsel können das Thema zu einer familiären Belastung werden lassen. Manche Eltern fragen sich auch, ob sie etwas falsch gemacht haben, wenn ihr Kind nicht trocken durch die Nacht kommt. Wichtig ist: An Bettnässen ist aber normalerweise niemand „schuld“. Das zu wissen, ist auch für das Kind tröstlich.
Liebe Dr. Nikola Klün, vielen Dank für das sehr informative Gespräch!
Maria Burges
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