Mampa Interview
Vom Traum zum Trauma – Psychische Gewalt in Partnerschaften.
Bei psychischer Gewalt in der Beziehung findet man oftmals eine Ausrede für den Partner.: „Es geht ihm / ihr gerade nicht so gut…“, „Das war bestimmt nicht so gemeint…“.
Wie erkennt man, dass es nicht „nur“ schlechte Laune ist, sondern tatsächlich psychische Gewalt?
Wir haben uns mit der Autorin Caroline Wenzel unterhalten:
Caroline Wenzel:
Psychische Gewalt hat eine bestimmte Systematik. Es sind keine einmaligen „Ausrutscher“, auch wenn die Gewaltausübenden oft versuchen, es so aussehen zu lassen. Solche Beziehungen beginnen meistens mit einer sehr großen, bisher nicht gekannten Intensität, einem „Love Bombing“.
Nach etwa einem halben Jahr fängt es dann an zu kippen, zunächst schleichend, ohne einen für die Betroffenen ersichtlichen Grund. Abfällige Bemerkungen, ein kurzer „Ausraster“ vielleicht, manches auch nur angedeutet, subtil, verunsichernd. Es sind viele kleine Nadelstiche, eine unterschwellige Feindseligkeit, die sich einschleicht und die schwer greifbar ist, weil die Gewaltauübenden ausweichen, wenn sie darauf angesprochen werden.
Caroline Wenzel
ist Fernsehjournalistin und Diplompsychologin mit den Schwerpunkten Klinische Psychologie und Kriminologie.
Mit ihrem Buch „Vom Traum zum Trauma. Psychische Gewalt in Partnerschaften“, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf ein Tabuthema.
Seit Jahren steigen die Fallzahlen zur häuslichen Gewalt – meist von Männern gegen Frauen. Psychische Gewalt ist die häufigste Form von häuslicher Gewalt und kann schwerwiegende Folgen haben. Dazu zählen das Herabwürdigen, Abwerten, Isolieren und Kontrollieren in einer Partnerschaft.
Die Betroffenen sind verunsichert, verwirrt, weil der Traumprinz, die Traumprinzessin ein so anderes Gesicht zeigt als in den extrem rosaroten Anfangszeiten. Oft suchen sie die Ursache dafür bei sich selbst. Sie fühlen sich schuldig, strengen sich immer mehr an, um wieder die ganz besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit zu bekommen, mit der sie anfangs überhäuft wurden. Doch das gelingt ihnen nicht, egal wie sehr sie sich anstrengen.
Psychische Gewalt besteht aus einem Bündel an charakteristischen Verhaltensweisen. Für sich genommen erscheint jede dieser Verhaltensweisen zunächst einmal harmlos, vielleicht als schlechte Laune, vielleicht als Unachtsamkeit. Zusammengenommen, in ihrer Systematik, wirken sie allerdings sehr zerstörerisch. Die Angriffe werden immer stärker, sie richten sich gegen den Selbstwert und gegen die Person der Betroffenen. In Beziehungen, in denen psychische Gewalt im Spiel ist, geht es, anders als bei einem „normalen“ Streit, nicht um die Sache, sondern an den Persönlichkeitskern und letztlich um Macht und Kontrolle.
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mampa:
Warum fällt es Betroffenen so schwer, psychische Gewalt in der Beziehung zu erkennen? Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?
Caroline Wenzel:
Psychische Gewalt ist eine subtile Gewaltform, bei der sich bei den Betroffenen im Verlauf der Beziehung immer größere Selbstzweifel breitmachen. Sie fragen sich, was sie falsch machen, suchen die Ursache bei sich selbst, nicht beim anderen. Die Gewaltausübenden führen das zum Teil gezielt herbei, manipulieren beispielsweise ihre Realtitäswahrnehmung mit Techniken wie dem sogenannten Gaslighting. Das ist ein Grund dafür, dass die Mechanismen der psychischen Gewalt meistens sehr spät oder sogar erst hinterher erkannt werden.
Der zweite Grund ist die starke emotionale Abhängigkeit, die in diesen Beziehungen entsteht. Die Betroffenen wollen unbedingt ein Stück der anfänglichen Intensität wiederhaben. „Ich sehnte mich nach seinen überbordenden Liebesbekundungen, nach seiner Nähe, nach dem Gefühl, füreinander bestimmt zu sein, das er mir fast ein halbes Jahr lang so intensiv vermittelt hatte. Ich wollte nicht, dass all das aufhört. Ich war bereit, alles dafür zu tun, dass es weiterging.
Ich wollte meinen Traumprinzen wiederhaben“, sagt Maria in meinem Buch. Viele Betroffene erleben eine psychische Abhängigkeit, die so stark wie eine körperliche Abhängigkeit ist. „Ich fühlte mich wie eine Suchtkranke, wie eine Abhängige, der die Droge weggenommen worden war“, stellt Eva fest. Die Betroffenen hungern nach dem nächsten schönen Moment, dieser wirkt dann als „Belohnung“ für die vielen Anstrengungen, die sie für ihre Partnerschaft unternehmen.
Die Momente kommen nur ab und zu, unvorhersehbar, und gerade solche unregelmäßigen Belohnungen wirken besonders stark, führen dazu, dass ein Verhalten beibehalten wird. Deshalb fällt der Ausstieg aus solchen Beziehungen sehr schwer und eben auch das Erkennen ihrer schädlichen Mechanismen.
Bei Maria gelang das erst in einer jahrelangen Therapie, erzählt sie im Buch: „Die Therapeutin versuchte von Anfang an sehr intensiv, mir die rosarote Brille zu nehmen. Sie half mir dabei, allmählich wieder die Realität greifen zu können, die Alexander mir über Jahre hinweg deformiert hatte.
Es ging zunächst einmal lange darum, die rosa Wolke zu zerschmettern, sie mit dem Hammer zu zerschlagen, weil sie äußerst hartnäckig war /…. / Meine Therapeutin gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass ich ihrer Meinung nach unter dem Stockholm-Syndrom leide. ́Sie interpretieren alles, was passiert ist, so, dass Sie Ihren Mann damit schützen`, sagte sie zu mir, als sie wieder einmal energisch mit dem Hammer auf die rosarote Wolke einschlug.“
Ghosting ist eine ganz besonders subtile Art des Missbrauchs. Können Sie uns erklären, was dabei geschieht?
Caroline Wenzel:
Ghosting, dieses plötzliche, geistergleiche Verschwinden, ist für die „Zurückbleibenden“ immer ein Schock, ein Vorfall, der viele Fragen und möglicherweise auch Selbstzweifel aufwirft. Es ist ein Phänomen, zu dem es noch keine validen wissenschaftlichen Studien gibt. Sicherlich steckt Angst vor Verbindlichkeit dahinter. Und da Dating und Partnersuche mehr und mehr online stattfinden, wird so ein Verhalten natürlicher auch einfacher. Man kann jemanden schnell blockieren oder löschen, muss sich nicht mit ihm auseinandersetzen. So ein Vermeidungsverhalten kann sehr verletzend sein und zu Unsicherheit, Verbitterung oder sozialem Rückzug führen.
Ich sehe Ghosting allerdings eher als Dating-Phänomen, weniger als Element psychischer Gewalt. Denn beim klammheimlichen Abschied beim Ghosting geht es meist nicht um Macht und Kontrolle, sondern um Angst vor Nähe, vor falschen Entscheidungen und auch um Bequemlichkeit.
In Beziehungen, die von psychischer Gewalt geprägt sind, gibt es häufig eine Art Gummiband- Dynamik: Die Gewaltausübenden verschwinden plötzlich für eine gewisse Zeit, lassen den Partner darüber im Unklaren, wo sie sind und wie lange sie wegbleiben, und tauchen dann ohne Vorankündigung plötzlich wieder auf, als wäre nichts gewesen. Das passiert oft im „fortgeschrittenen Stadium“ der Beziehungen, verstärkt die emotionale Abhängigkeit noch einmal und wird von den Betroffenen als sehr zermürbend empfunden.
Eva hat es so erlebt: „Er erschien mit einem riesigen Blumenstrauß. Ein paar Tage lang wich er nicht von meiner Seite, tat alles für mich, dann ging er wieder, kam und ging. Ich wusste nicht, wo er war und wann er kam. / … / Anfangs hatte ich mir gedacht, es ist mir egal, soll er doch gehen, wohin er will, ich brauche ihn nicht. Doch er fehlte mir schmerzlicher als gedacht. / … / Kalter Entzug. Ein tiefer emotionaler Schmerz wechselte sich mit körperlichen Schmerzen ab, quälende Fragen verfogten mich.“
Wie sollten wir reagieren, wenn wir das Gefühl haben, dass jemand im Bekanntenkreis vom Partner seelisch missbraucht wird?
Caroline Wenzel:
Auf jeden Fall hinschauen und nicht sagen: Das ist deren Privatsache, da mische ich mich nicht ein. Die betroffene Person ansprechen, wenn man mit ihr allein ist, wenn ihr Partner nicht dabei ist. Sagen, welche Veränderungen einem auffallen, etwa dass sie sich zurückzieht in letzter Zeit. Verständnisvoll und vorsichtig vorgehen, denn die Betroffenen leiden meist unter großen Scham- und Schuldgefühlen. Ein Buch zum Thema geben, Hilfe anbieten, auf mögliche Anlaufstellen wie etwa die Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt hinweisen, bei denen man sich auch anonym beraten lassen kann. Wenn Kinder im Spiel sind, sollten sie möglichst mit einbezogen werden.
Anis, der betroffene Mann in meinem Buch, formuliert es so: „Falls es in Beziehungen, so wie bei uns, Kinder gibt, sollten sie möglichst früh mit einbezogen werden, damit sich die Gewalt nicht immer weiter fortsetzt. Sie fängt in den Häusern und Wohnungen an, die Kinder beobachten psychische oder körperliche Gewalt zwischen ihren Eltern, übernehmen sie womöglich und tragen sie nach draußen in die Gesellschaft. Oder sie werden selbst zu Opfern.“
Generell finde ich es wichtig, dass wir alle genauer hinschauen und dass es auch bei Institutionen wie Familiengerichten, Polizei, bei Ärzten, an Schulen, in Kindergärten usw. ein größeres Bewusstsein und mehr Schulungen zu diesem Thema gibt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, doch leider hinkt Deutschland da im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie etwa Spanien, Frankreich, England oder Österreich, hinterher.
Dabei ist psychische Gewalt die häufigste Form der häuslichen Gewalt, und oft artet sie irgendwann, nach Jahren, in physische Gewalt aus. Würden wir alle frühzeitiger hinschauen, die Systematik erkennen, könnten wir sicherlich so manche Fälle von schwerer körperlicher Gewalt verhindern, die immer wieder in den Medien als sogenannte Familientragödie auftauchen.
Wie finden Betroffene den Ausweg?
Caroline Wenzel:
Für die meisten ist das ein beschwerlicher und auch schmerzvoller Weg. Eva beschreibt es so: „Ich weiß auch, dass es ein sehr langer und mühevoller Weg ist. Es tun sich auf diesem Weg immer wieder unvermittelt tiefe Löcher auf, in die man hineinfällt.“
Erst einmal sollten sich die Betroffenen darüber bewusst sein, dass es mit einer Trennung noch lange nicht getan ist. Ein Rat, den Freunde und Bekannte oft geben, lautet: `Dann trenn dich halt ́. Dieser Rat ist gefährlich. Denn gerade in der Trennungsphase, die die Gewaltausübenden als Kontrollverlust erleben, kommt es oft auch zu körperlicher Gewalt. Betroffene sollten sich auf jeden Fall Unterstützung suchen, und zwar bei Menschen, die sich mit der Thematik auskennen. Dazu gehören ein kompetenter Rechtsbeistand, Rat bei den Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt, bei Frauenhäusern oder Männerberatungsstellen, eine fachgerechte Behandlung durch psychologische oder ärztliche Psychotherapeuten.
In einer Beziehung, die von psychischer Gewalt geprägt ist, können schwere Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen entstehen. Solche Erkrankungen können nicht von „Coaches“ behandelt werden, die Hilfe im Fall von „toxischen Beziehungen“ oder „narzisstischen“ Partnern versprechen. Sie gehören in die Hand von dafür qualifizierten Fachleuten. Wer dort nicht gleich einen Termin bekommt, kann sich auch an eine Trauma-Ambulanz wenden. Häufig löst das jahrelange Erleben psychischer Gewalt körperliche Beschwerden aus, es ist also gut, wenn der Hausarzt oder die Hausärztin über das Erlebte Bescheid weiß. Daneben kann für die Betroffenen der Austausch in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein, um festzustellen, dass ihre Geschichte bei weitem kein Einzelfall ist.
Liebe Caroline Wenzel!
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Maria Burges
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